Detailergebnis zu DOK-Nr. 59109
Straßenentwurf: der Blick zurück nach vorne
Autoren |
W. Wirth |
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Sachgebiete |
5.10 Entwurf und Trassierung |
Deutscher Straßen- und Verkehrskongress Karlsruhe 2006. Köln: FGSV Verlag, 2007, CD-ROM (Hrsg.: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) (FGSV 001/21) S. 208-218, 8 B, 24 Q
"Die Straße ist für alle da". Was bedeutet diese von den Juristen als Gemeingebrauch bezeichnete Formel? Tatsächlich teilten sich vor 150 Jahren alle Verkehrsarten in paradiesischer Einheit "ihre" Straße. Mit der zunehmenden Verkehrsdichte in der Verstädterungsepoche, spätestens jedoch mit dem Aufkommen schneller Motorfahrzeuge ab 1900 reichte die einfache Vergrößerung der Straßenfläche nicht mehr aus. Unerträglich hohe Zahlen von Unfallopfern, aber auch die täglichen Stauungen erforderten neue Wege: Die verschiedenen Verkehrsarten und -ströme mussten entflochten werden. Dabei machte ein Tatbestand, den man ansatzweise schon beim Bau der Eisenbahnen erkannt hatte, den Straßenplanern mehr und mehr zu schaffen: Verkehrswege, die in der einen Richtung verbinden, trennen in der anderen - ein Problem, das bis heute bestimmend für die Verkehrsplanung geblieben ist. Aber zurück in die Zeit um 1900. Ausgehend von einer Separation des rollenden Verkehrs vom Fußgänger durch eine Stufe (Bürgersteig!) trieb man die Aufteilung des Straßenquerschnitts in exklusive Streifen für Fußgänger, Radfahrer, Kraftfahrzeuge, Straßenbahnen und Parker mit für die jeweiligen Bedürfnisse maßgeschneiderten Straßenbelägen immer weiter. Auch schuf man definierte Querungsstellen für die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer: zunächst mit verkehrsregelnden Polizisten, später mit Lichtsignalen. Auch für die Fernstraßen übernahm man das Prinzip der verkehrsartenspezifischen Selektion: In verschiedenen Industrienationen wird in den 1920er Jahren der Ruf nach einer exklusiven Kraftwagenstraße ("Autobahn"!) laut. Bei der Autobahn kam als weiteres Prinzip noch die "Kreuzungsfreiheit" hinzu, das heißt, der störende Querverkehr wurde mittels Brücken unter- oder überführt. Dieses Prinzip, also eine vertikale Separation konfliktträchtiger Verkehrsströme, wirkte später auf die Stadtstraßenplanung zurück: Etwa ab 1950 baute man Fußgängerbrücken und -tunnels, um starke Personenströme sicher über städtische Hauptverkehrsstraßen zu führen. Abgesehen von der Beschwerlichkeit bei der Überwindung des Höhenunterschieds und der grundsätzlichen Unsicherheit unterirdischer Verkehrsanlagen vor allem für Frauen, zur Wiedergewinnung des "Lebensraums Straße" taugten all diese Versuche, einschließlich Zebrastreifen, nicht. In den 1970er Jahren macht dann die Stadtstraßenplanung mit zwei epochalen Neuerungen einen Riesenschritt nach vorne: Bei den Erschließungsstraßen setzt sich das im Wesentlichen auf geringen Kfz-Geschwindigkeiten fußende Prinzip "Verkehrsberuhigung" durch. Bei den hoch belasteten Hauptverkehrsstraßen, die einen stadtautobahnähnlichen Ausbau im bestehenden Straßennetz erfordern, zieht man aus den Wunden, die kurzsichtige Hochstraßenprojekte in intakte Stadtstrukturen geschlagen haben, eine späte, aber nützliche Lehre. Man geht zur vertikalen Separation der verschiedenartigen Verkehrsströme auf ganzer Straßenlänge über: unten die Stadtautobahn im "Längstunnel", obenauf die "gute alte" Stadtstraße mit all ihren sozialen Funktionen und einem gut zugänglichen öffentlichen Verkehrsmittel.